Über soziale (Un-)Gerechtigkeit.

Man könnte soviel sagen dazu. Über die Schere zwischen arm und reich. Darüber, dass in Österreich 335 Menschen ein Drittel des Finanzvermögens besitzen. Darüber, dass 50% der Privathaushalte weniger als 5% besitzen. Darüber, dass soziale Ungleichheit ein empirisch nachgewiesener Faktor ist. Marlene Engelhorn tut das und sie tut es deutlich eloquenter als ich hier in meinem Blog-Beitrag. Ich tue es auch leicht wutschnaubend, komme ich doch von einer Veranstaltung, in der ein Self-Made-Unternehmer schulterzuckend versucht zu erklären, dass es halt in diesem System immer Gewinner und Verlierer gibt und für manche nur ein Trostpreis bleibt. Als eine Dame sich einschaltet, um zu fragen wie er das meine, schließlich sei sie Chefin der Schuldenberatung und sehe täglich Menschen, die unverschuldet die sogenannten „Trostpreise“ hätten, 42 Wochenstunden Arbeit zum Trotz, weil Leistung sich eben nicht lohne, meint er, naja, Trostpreis sei ja nett gemeint, etwas Schönes. Man könnte so viel sagen darüber, dass in Österreich 22% der Kinder und Jugendlichen armutsgefährdet sind, darüber, das 1% Vermögenssteuer ab einem Vermögen von 1 Mio. Euro genau 10.000 Euro wären, dass das vermutlich aus der Portokasse zu bezahlen wäre. Darüber, dass mehr als zwei Drittel der von Altersarmut betroffenen Menschen weiblich sind und sich vermutlich die meiste Zeit ihres Lebens eher nicht auf den Bahamas gesonnt haben. Man könnte so viel dazu sagen.

Allerdings: Es wird nicht zugehört. Nicht verstanden. Von dieser privilegierten, ja weißen, ja männlichen Schicht, die sich auf der Gewinner-Seite sonnt. Die Empathie schon ganz zu Beginn der Karriere bei Ernest & Young am Garderobenständer abgegeben hat. Die tatsächlich denkt, sie und nur sie allein hätten dafür gesorgt, dass sie im oberen Perzentil der Vermögensverteilung gelandet sind. Durch eigener Hände Arbeit. Warum bemühen wir eigentlich immer noch die Gebrüder Grimm, wenn es dererlei moderne Märchen gibt? Denn wenn sie nicht gestorben sind, erzählen sie diese vom-Tellerwäscher-zum-Millionär-Mär solang es ihnen zum Vorteil gereicht. Weil die Gewinner, die sind sie. Und die Verlierer, das sind alle anderen.

(Quelle: Huinink/Schröder 2019)

Late to the party.

Künstlich sei es und intelligent. Chat GPT ist aktuell in aller Munde oder besser gesagt: In allen Browsern. Medien berichten über Vorteile und Gefahren, darüber, dass die Server zusammenklappen, weil der Andrang auf den Chat-Bot unermesslich ist, Menschen können nun Texte schreiben über Themen, von denen sie bis dato keine Ahnung hatten und Content Kreatoren freuen sich ästeweise über lapidare, aber stilistisch schöne Texte – möglicherweise auch in der Ästhetik der Minnelyrik des 16. Jahrhunderts.

Ein Fluch? Vielleicht. Wenn man bedenkt, das Spammer es jetzt noch leichter haben Viagra-Mails zu verbreiten, die klingen wie aus dem Ärzteblatt. Oder Werbeangebote sprachlich perfektioniert über personalisierte Algorithmen ausgespült werden. Oder – und das scheint mir der eigentliche Fluch – wenn Chat GPT oder ähnliche KIs wie z.B. caktus oder perplexity – fake reproduzieren, Unwahrheiten und Lügen. Das Donald Trump der König der Welt ist. Das Bill Gates uns Chips unter die Haut setzen will. Oder das es gesund wäre Bleiche zu schlucken, bei Krankheit X oder Wehwehchen Y. Denn was die KIs einfach noch nicht drauf haben ist die Unterscheidung, die Prüfung, was ist wahr? Was ist korrekt? Im Brustton der Überzeugung werden Dinge proklamiert, die bei näherem Hinsehen, mit Verlaub, Bullshit sind. KIs nehmen es mit der Wahrheit nicht so genau.

Und liegt hier vielleicht auch eine Chance? Könnte man sich nicht die mühsame Vorarbeit von wissenschaftlicher Recherche durch die KI abnehmen lassen? Müssen Kinder in der Schule, die später im Job alles googeln werden, was nicht niet- und nagelfest ist, trotzdem jeden Chemie-Fakt aus dem Hirn ziehen? Ist es nicht auch eine Leistung herauszufinden, wie man eine KI für sich adäquat nutzen kann? Die eigentliche Leistung besteht dann darin herauszufiltern, was korrekt ist. Ein Wissen über das System, für das die Beurteilung der Details relevant ist, nicht mehr das Wiederkäuen derselben.

Und geben wir es zu: Manche Dinge können diese Technologien besser als wir. Blitzartig das Internet durchsuchen und in ein paar Sekunden einen gut klingenden Text raushauen. Fakten speichern und abfragen, medizinisches zum Beispiel. Dinge aus Big data ausgraben.

Ich glaube, dass in Zukunft die reproduktiven, eher stupiden Intellektleistungen von KIs übernommen werden können. Als Assistenten für zähes, mühsames, wiederkehrendes. Ich glaube, das es trotzdem neue Kompetenzen braucht: Erkennen, was stimmt. Systematische, strategische Entscheidungen fällen. Auch verstehen an welchen Stellen KI mich unterstützen kann und an welchen nicht. Und: Menschliches. Emotionales. Denn auch das kann Chat GPT noch nicht. Zwischen den Zeilen finden. Schauen, wie es meinem Umfeld geht. Fühlen.

Interessant ist es auch zu schauen, wie Bildungsinstitutionen mit KI umgehen: Verbieten? Hunter and the fox? Wer findet schneller heraus, ob es KI-unterstützte Texte sind oder nicht? Und dann bestrafen wir? Das gehört für mich grundsätzlich überdacht.

Denn diese Technologie ist da, die geht nicht mehr weg. Wie also, kann man sie bestmöglich nutzen?

Brach.

Lange lag er brach, mein Blog. Fast ein Jahr jetzt, um genau zu sein. So viel ist passiert, was eigentlich Texte verdient hätte. So viel Pandemie, so viel Studium, so viel Ausbildung, so viel Leben, so viel Welt. Manchmal fließt es einfach nicht, das Texten. Manchmal bleiben die Gedanken einfach im Kopf und wollen nicht sortiert heraus, wollen gar nicht heraus. Oder vielleicht schon doch, aber nicht in die Öffentlichkeit.

Es findet Veränderung statt, aktuell. Ich bleibe bei meinem Business und mag es nach wie vor. Ich bin nicht sicher, ob mein Weg der Vieler ist, die irgendwann von der Grafik in die Beratung wechseln. Meine Wege schlenkern immer ein bißchen, machen Kurven, schlagen Haken und am Ende bin ich an einem guten Platz, da verlasse ich mich drauf.

Eventuell eröffnet sich ein Standbein im Coaching. Im Grunde ist Gestaltung schon eine Art Coaching. Nicht um sonst heißt es Corporate Identity. Man schaut, was da ist, um es sichtbar zu machen. Eine nur hübsch gestaltete Identity, ist oft blutleer, funktioniert nicht, weil sie nichts mit dem Unternehmen oder dem Kopf dahinter zu tun hat. So weit weg vom Coaching ist das nicht. Auch ein Coach schaut, was schon da ist. Er oder sie übersetzt das dann eben nicht in ein CI sondern gräbt die Schätze für Menschen aus. Die angelegt sind in jedem oder jeder. Die raus wollen und noch nicht so recht können. Die festhängen an falschen Ideen, an Unsicherheiten oder sich reiben mit alten, eingebrannten Sätzen. Die laufende Ausbildung macht mir große Freude. Ich wachse, mein Gegenüber wächst, das ist unbezahlbar (und den Visa-Card-Spruch kann hier jeder nach Gutdünken ergänzen).

Nebenbei studiere ich. Gesellschaft verstehen, Prozesse und Systeme verstehen, das möchte ich. Drum Politikwissenschaft und Soziologie an der Fernuni Hagen. Der Kopf schlägt Salti, ich schreibe Klausuren, wann habe wir das letzte Mal Klausuren geschrieben? Oder Hausarbeiten? Ob daraus etwas berufliches werden möchte: We’ll see. Solange mache ich weiter. Wenn es Spaß macht. Wenn es die Hirnwindungen zum Glühen bringt. Wenn es mich Texte schreiben lässt, von denen ich nicht dachte, dass ich das könnte. Stringente Dinger mit vielen Fremdwörtern, die trotzdem fluffig daher kommen und am Ende beinahe das Prädikat wissenschaftlich verdienen.

Und dann kehrt das freie Schreiben zurück. Über die #kommentarkomplizen, die hin und wieder Social Media „überfallen“ und mit Lyrik veredeln. Über Workshops mit arg pubertären 14jährigen, die sich am Ende doch auf das Abenteuer Text einlassen. Nicht alle. Nicht immer. Aber auch hier ist es toll zu sehen, wenn Potentiale leuchten. Wenn stille kids plötzlich Werbeplakate schreiben und gestalten, wenn Liebesbriefe an Heizungen entstehen oder neue Wortkreationen.

Im Grunde heben alle diese Tätigkeiten Schätze. Dinge, die schon da sind. Vielleicht wäre das eine wirklich schöne Berufsbezeichnung für die Zukunft: Schatzfinderin. Schatzheberin. Vielleicht braucht es dafür auch ein neues Wort. Wir werden sehen. Und wenn ich einen Leser oder eine Leserin beim Schätze suchen und finden begleiten darf wäre mir das eine Freude. Denn am besten geht das eh gemeinsam.

April.

Ein runder Geburtstag während Covid. Schnee. Eine sehr kranke Katze mit ungewissem Ausgang. Zwei ausgefallene Milchzähne. Das erste mal barfuss in diesem Jahr. Ein aufregender, neuer Studienbeginn. Schlaflosigkeit. In einem Gedichtbüchlein mit Monika Helfer landen. Auftrag ja, Auftrag nein. Sich wundern, was möglich ist. Frühlingsblumen. Essen gehen. Heuschnupfen.

Pandemie. Euphorie.
Alles sehr nah beieinander in diesem April. Unstet, schön, wild, grauslig.

Ein bißchen mehr Ruhe, liebes Wetter, liebe Welt, wäre wirklich schön. Ein bißchen mehr Aussicht auch. Und ein bißchen mehr Verständnis für viele aufgewühlte, ermattete, wütende, traurige, sehnsüchtige, laute und leise Menschen.

Das wäre soweit erst mal alles. Reicht ja auch.

Meine Herren,

was wird aktuell diskutiert, gestritten, Stellungen bezogen, mit Zähnen und Klauen verteidigt, randaliert. Eine Wut in so vielen Themen, auf die Welt, auf Covid, auf die Politik, auf „die Anderen“, auf „Idioten“, auf „Mitläufer“, „Systemheuchler“, auf-was-weiss-denn-ich wen noch.

Ich verstehe die Wut. Die Hilflosigkeit. Dieses Gefühl, ausgeliefert zu sein und tun zu müssen, was „die da oben“ sagen. Und „die da oben“ machen sowieso immer alles falsch. Ein Kabarettist sagte letzthin sinngemäß – ich glaube es war Sebastian Puffpaff und ja, der heißt wirklich so – Wenn ein_e Politiker_in mal alles richtig macht, sagen wir dann: Wow, spitze, toll! Dich wähle ich gerne wieder! Und klopfen wir uns dann auf die Schultern, das wir das richtige Kreuzchen gesetzt haben? Eher nicht.

Es steckt auf sonderbare Weise in uns drin, uns zu separieren. Von „denen da oben“. Weil dann sind wir ja „die da unten“ und können eh nichts tun. Außer uns aufzuregen. Wir alle sind – nebst den besten Fußballtrainer_innen der Welt – natürlich auch die besten Politiker_innen.

Ich habe davon keine Ahnung. Ich weiß nicht, wie man in einer Pandemie dafür sorgt, das Budgets weiterhin so bleiben, dass keiner unter geht. Ich weiß nicht, ob man lieber nochmal alles zumacht, aufmacht, wieder zumacht. Welche Maske die Beste ist. Ich muss mich darauf verlassen, dass es Menschen gibt, die das besser wissen, was schwer genug ist und oft an den Nerven zerrt. Ich mag mich auch nicht ergeben. Ich mag verstehen.

Also übe ich das. In der mir größtmöglichen Ruhe, die oft genug alles andere als das ist. Denn nur wütend zu sein, glaube ich, nützt nix, ändert nix. Außer, dass es mir schlecht geht. Was ich ungünstig finde.

Drum. Lasst uns doch mal gucken, was es für Alternativen gibt. Wohin es gehen kann. Wer wir sein wollen. Vielleicht ist das ein Anfang, wenn die Wut mal verraucht ist.



Mal im Ernst jetzt.

“Es hat nichts mit mir zu tun. Dieses ganze Welt-Theater hat nichts mit mir zu tun.”

Sehr lange habe ich mich so hübsch selbst verblendet. Garniert mit: “Was kann ich schon dagegen tun? Ich bin so klein, so hilflos, nur eine Einzelne. Selbst wenn ich wollte. Gegen diese ganzen Goliaths.”

Gut. Legen wir das mal ad acta. Denn alles hat mit mir zu tun. Vermessen? Scheinbar. 

Gedankengang

Ich versuche mich mal an einer Erklärung. Während ich das schreibe sitze ich mit meiner Tochter zuhause im Distance Learning. Wegen Corona. Nein, eigentlich nicht wegen Corona, sondern wegen der Entscheidungen, die getroffen wurden, damit wir Corona in den Griff bekommen. Dagegen ist natürlich nichts zu sagen, schließlich liegt es im Interesse aller, dass nicht weitere Menschen an diesem Virus sterben, vulnerable Gruppen – und damit meine ich nicht nur die Altersgruppe Ü80 – geschützt werden und wir dieses Kapitel endlich hinter uns bringen. 

All about the money

Aber schauen wir uns die Prioritäten an: Wer bekommt die höchsten Förderungen? Große Wirtschaftsunternehmen. Wer sind die größten Steuervermeider weltweit? Wer verhindert somit quasi, dass Geld in die Staaten fließt und damit dem Gemeinwohl zugutekommt? Große Wirtschaftsunternehmen. Wir geben also gerade sehr großen Firmen das Geld, das sie uns auf dem Steuervermeidungsweg vorenthalten. Bei solchen Gedanken erlebt mein Unverständnis schon einen ordentlichen Aufgalopp.

Stellen wir uns mal vor, diese Gelder wären dem Gemeinwohl zugutegekommen, gerade jetzt in der Krise. Geld für gute Konzepte, um LehrerInnen und SchülerInnen vor dem Virus zu schützen. Geld für Infrastruktur in der Bildung. Geld, um möglicherweise diese Distance-Learning-Situation zu vermeiden. Müsste ich dann meinen Job halbieren, logistisch zaubern, um die Dinge am Laufe zu halten? Nein. Bekomme ich, bekommen tausende Eltern irgendeine Anerkennung für unseren Einsatz? Nein. Oh, wait, doch, da kam einmalig irgendetwas mit 300 Euro. 

Diese Situation hat also mit mir zu tun.

Wer entscheidet denn jetzt, wer welche Förderungen bekommt? Im Augenblick die Verantwortlichen in der Politik. Sicher kein leichter Job zurzeit. Nach welchen Prämissen wird dort gehandelt? Eine davon, die dauerhaft proklamiert wird: die Wirtschaft am Laufen zu halten. 

Wer ist denn nun diese abstrakte Wirtschaft? Unternehmen. Und in diesen Unternehmen arbeiten Menschen. Mit Kindern. So in etwa jemand wie ich. Bin ich also die Wirtschaft? Na ja, nicht so richtig. Die Unterstützungen landen schon in der Wirtschaft, also eher bei Aktionären, die Gewinnausschüttungen am Jahresende fordern und kontinuierliches Wachstum verfolgen. Ergo landet Geld dort, wo bereits Geld ist. Klar, einiges geht auch in Kurzarbeitergeld etc. keine Frage. Nichts desto trotz fliegt man als Arbeitnehmer eher raus, bevor Ausschüttungen gekürzt werden. 

US

Schauen wir mal weiter. Gestern randalieren weiße Menschen im Kapitol, schmeißen Scheiben ein, stören Prozesse in der Demokratie. Die Wahlmenschen in den USA hätten gestern schon Joe Biden als Präsidenten bestätigen sollen, konnten das aber nicht, wegen diesen Aufständischen. Hier, finde ich, sollte bewusst nicht von “Demonstranten” gesprochen werden, denn wer in öffentliche Gebäude eindringt, Dinge klaut und zerstört, ist deutlich mehr als das. Als Gedankenspiel mag man sich mal vorstellen, was los gewesen wäre, hätte es sich um Menschen der Black-lives-matter-Bewegung gehandelt. 

Die Polizei schaut größtenteils zu, scheint sogar Personen aus dem Kapitol hinauszubegleiten. Es dauert Stunden, bis die Situation gelöst ist. Es gibt – in Anbetracht der Menschenmengen dort – kaum Verhaftungen. 

Was für Bilder. Weiße, vorwiegend weiße Männer, teilweise in Bärenfell und mit der Konföderierten-Flagge behangen, spazieren relativ unbehelligt und angstfrei durch das Kapitol. 

Sie verhindern Demokratie. Verhindern, dass Prozesse, legitime Prozesse stattfinden. Jetzt gibt es Bilder, die Menschen bestärken, das auch woanders mal zu versuchen. Es ging ja schließlich alles sehr leicht. Vielleicht geht das ja auch hier, bei uns, bei mir. 

Wenn Demokratie verhindert wird, betrifft das auch mich. Ich möchte nicht in einer Diktatur leben. Ich möchte frei entscheiden können, wen ich wähle. Ich möchte nicht, dass ein paar durchgeknallte Bärenfellmänner für mich entscheiden, was gut ist. Nicht in den USA, nicht in Europa. 

Auch das hat – abstrakt, aber doch – mit mir zu tun.

Und jetzt?

Es lässt sich also nicht mehr so komfortabel schweigen. Eigentlich schon lange nicht mehr. Eigentlich schon nicht mehr seit Ibiza, seit Moria, seit Bunga-Bunga. Nicht mehr, weil Gleichbehandlung immer noch lachend abgetan wird, schutzsuchenden Menschen sichere Unterkünfte verwehrt werden, ein “Widerwärtiges Luder”-Sager belächelt sind, weil das Wort Femizid noch keinen ordentlichen Eingang in unsere Medien gefunden hat, Polit-Eitelkeiten mehr zählen als Menschenleben, Plastikmüllhalden ausgelagert werden, “sozial schwach” mit “selbst schuld” gleichgesetzt wird und die Börse als das Maß aller Dinge gilt.  

Es. hat. mit. uns. zu. tun. 

Wir sind so viele verschiedene Ichs. Wir könnten gemeinsam einiges bewirken. Alternativ können wir immer den anderen die Schuld, die Verantwortung, die Macht zuschieben. 

Aber mein kleines Ich mag das nicht mehr. 

Ich mag mich auch nicht aufregen, ereifern, wütend toben, auch wenn sich das aktuell nicht immer vermeiden lässt. Ich würde gerne vernünftige Diskurse führen. Auf Augenhöhe sprechen. Und Dinge ändern. Fürs Erste vielleicht dafür, dass meine Tochter nicht mit ihren Kindern in der nächsten Pandemie im Distance Learning sitzt und sich zwischen Job und Care-Arbeit zerreißt. 

P. S.

Das “Wie” hinterlässt mich nach wie vor ratlos. So viele lose Enden, die man aufgreifen, für die man sich engagieren kann. Vielleicht ist dieser Text ein Anfang. Vielleicht müssen einfach zuerst die Gedanken in die Welt, bevor sie sich in Tun verwandeln können. Und vielleicht finden sich dann genau die richtigen Menschen für genau die richtigen weiteren Schritte. 

Zitat aus dem Buch „Nerds retten die Welt“ von Sibylle Berg, Interview mit Frau Dr. Roig.

Winter.

Heute ist der 1. Dezember und es schneit. Das Kind ist in aller früh aufgekratzt zum Adventskalender gestürmt, dazu der Schnee, manchmal kann Glück so einfach sein. Vielleicht ist das ein guter Wegweiser nach diesem ausgezuckten, lauten, unberechenbaren Jahr, das Glück im Kleinen zu suchen.

Der Schnee jedenfalls macht die Welt, die hier grade noch im Lockdown liegt, schlagartig leiser. Friedlicher. Ich bin nicht bereit für Schnee, wenn ich ehrlich bin, ich habe noch nicht damit gerechnet. Nass und kalt sind nicht meine präferierten Wetterzustände. Immerhin, die Winterreifen sind montiert. Auch wenn das Auto momentan praktisch Pause hat. Wo soll man auch hinfahren, wenn Familie und Freunde besuchen kaum möglich ist, Ausflüge auch eher schwierig sind, die Kultur dicht ist. Zumindest was den Feinstaub betrifft, dürfte dieses Jahr ein gutes Jahr sein.

Bald ist es also rum, dieses vermaledeite 2020, das uns so viel und gleichzeitig so wenig abverlangt hat. Wie geht es wohl weiter? Impfungen? Weitere Lockdowns? Viele neue Zahlen? Skifahren? Grenzen offen oder geschlossen? Schulen offen oder geschlossen? Neue Wohnformen mit Homeoffice-Planung? Post-Corona-Bewältigungsseminare? No idea. Wir werden sehen. Und uns drauf einstellen. Mal mehr, mal weniger gut, mal wütend, mal gelassen, mal verzweifelt, mal still.

Und dann – wenn man kurz aus dem Fenster schaut – fällt auf, dass eh immer unvorhergesehene Dinge passieren. So wie auf den Schnee, der einfach fällt. Oft natürlich nicht gleich weltbewegend, wie eine Pandemie, aber doch. Und wenn wir nochmal schauen, kommen wir als Menschen doch auch einigermaßen stabil mit diesen Dingen klar. Können Probleme betrachten, Lösungen finden, diskutieren, einander zuhören, entscheiden, tun. Was gemeinsam deutlich leichter geht als gegeneinander.

Für 2021 wünsche ich mir mehr miteinander. Mehr an einem Strang ziehen. Mehr Solidarität. Auch wenn das hier grade klingt wie aus einem Teambuilding-Seminar geklaut: Im Kern bitte genau so.

Und jetzt? Gehe ich Schneeschaufel, Handschuhe und Winterstiefel suchen und freue mich auf ein warmes After-Schneeschipp-Getränk und Kekse. Wäre doch gelacht, wenn man diesem Wetter nicht auch etwas Gutes abgewinnen könnte.

Photo by Christian Grab on Unsplash

Zu laut.

Draußen ist Herbst. Mit allen Facetten. Das Licht kitschig golden, manchmal dauerverregnete Tage, Nebel und hin und wieder schon eine Kälte, die die Knochen durchschüttelt. Blätter fallen, wie jedes Jahr und doch sind die Dinge anders.

Drinnen ist Geschrei. Trump twittert vornehmlich in Großbuchstaben, Corona treibt die wildesten Theorien aus den Menschen heraus, Wahlkampfplakate brüllen ihre Botschaften von Laternen. Wer nicht schreit hat nicht zu sagen, so scheint es.

Es ist so anstrengend. Das dauernde Gebrüll, das Besserwissen, das: Ich-muss-nur-lauter-sein-als-mein-Gegenüber.

Wann genau haben wir verlernt, wie Dialog funktioniert? Wann haben wir verlernt zuzuhören? Seid wann gibt es nur zwei Seiten und eine davon muss die andere niederringen? Waren wir nicht schon weiter? Durften nicht mal Dinge auch nebeneinander existieren? Meinungen, Diskurse, Abwägen, mal eine Nacht drüber schlafen?

Mir ist das alles oft zu laut. Vielleicht sollten wir öfter durch den Herbstwald laufen und den Blättern beim Rascheln zuhören. Verlernt man ja direkt, auf die kleinen Töne zu achten. Und ganz nebenbei entkommt man dann auch dem Gebrüll der Welt. Ganz unkompliziert. Und leise.

Muffensausen.

So. Da hat man die also alle gewählt, wie sie jetzt da sitzen. Bolsonaro, Trump, grade frisch wieder Duda in Polen, Erdogan und Co. Und dann kommt Corona. Also ein tatsächliches, reales, bedrohliches Problem, für das es vorläufig nur wenige Experten gibt, auch wenn sich sehr viele dafür halten. Und plötzlich bröckeln Fassaden. Covid19 zeigt sich unbeeindruckt von Message Control, von „Es wird schon verschwinden, weil ich bin Experte in allem“-Sagern, unbeeindruckt davon niedergeschrieen und herabgewürdigt zu werden, diese freche „kleine Grippe“. Stattdessen steckt es dann einfach mal Bolsonaro an. Das entbehrt nicht einer gewissen Ironie.

Es fühlt sich so an, also ob diese alten weißen, an dieser Stelle mag ich gerne noch hinzufügen: cholerischen Männer, sich grade ins Höschen machen. Weil ihre Strategien nicht mehr funktionieren. Nur mehr laut sein, lauter als andere, provokanter als andere, funktioniert nicht mehr. Der „starke“ Mann ist abgemeldet.

„Der Präsident reagiert auf all das aggressiv bis hilflos. Beispielsweise in der Corona-Krise“ lese ich auf Zeit Online über Bolsonaro.

„Der Präsident bekommt Muffensausen“ steht auf sueddeutsche.de in der Headline über Trump. Muffensausen ist ein zauberhaftes Wort by the way, das sollte ausdrücklich wieder öfter verwendet werden. 15-Prozent-Punkte liegt Trump aktuell hinter seinem Herausforderer Joe Biden, der eigentlich nichts dafür tun muss vorne zu bleiben, außer hin und wieder mal einen vernünftigen – ach was sag ich – einen grammatikalisch korrekten – Satz abzusetzen.

In Krisen sind anderes Skills gefragt. Umsicht. Experten zuhören. Abwägen. Unaufgeregt kommunizieren. Fehler zugeben. Strategien anpassen.

Vielleicht gucken wir mal in die zweite Reihe. In die leiseren Reihen. Und hören zu. Da gibt es gute Ideen Dinge zu tun. Dinge zu ändern. Nachhaltige Vorschläge. Menschen, die nur darauf aus sind, sich im Licht ihrer Position zu sonnen, helfen der Welt nicht weiter.